Als Reisende in Chaves

Der portugiesische Schriftsteller José Saramago unterscheidet in seiner ‚Portugiesischen Reise‘ (Viagem a Portugal) den Reisenden vom Touristen. Der eine sucht danach, Neues zu entdecken und lässt sich überraschen; der andere hakt ab, was sein Reiseführer ihm zeigt. Nun war uns der Nobelpreisträger um einiges voraus; denn er beging das Wagnis zu entdecken in seiner Heimat, deren Kultur er schon auswendig kannte. Wir ließen uns als Touristen überraschen. Auf dem Weg nach Bragança legten wir eine Pause ein, und zwar in Chaves. Das ist ein portugiesisches Städtchen im Jenseits, dem ‚Tràs os montes‘ (Hinter den Bergen). Es gibt eine alte Römerbrücke zum Abhaken. ‚Das ist bestimmt hübsch. Wo eine Brücke ist, gibt es auch einen Fluss, und am Fluss eine Pastelaria‘, so dachten wir.

Römerbrücke in Chaves
Römerbrücke in Chaves

Unsere Entdeckung wird (noch) nicht einmal im portugiesischen Wikipedia beschrieben, geschweige denn in deutschen Reiseführern. Sie ist neu. Sie verbirgt sich auf dem Foto ungefähr zwischen den Hochhäusern, fast am Ufer. Das zu wissen ist wichtig, denn es erklärt nichts, aber es beweist die guten Sitten der Moderne. Das Große fügt sich ein, auch wenn das Alte kleinteilig ist. In Portugal ist das Alte kein wilhelminischer Kitsch, sondern alt. Kommt doch bitte ein bisschen näher:

Museu de Arte Contemporânea Nadir Afonso
Museu de Arte Contemporânea Nadir Afonso

Hier sieht man es schon, vorne die Reste eines alten Gemäuers und jenseits der Bäume die Moderne: Das Museum für Zeitgenössische Kunst Nadir Afonso. Ein Meisterwerk des Architekten Álvaro Vieira Siza. Zu den guten Sitten der Moderne gehört, dass es sich mit klaren Formen in die Umgebung einpasst und dennoch konsequent reduziert seine Konstruktion offen legt. Der langgestreckte Baukörper liegt direkt an der Uferpromenade in Sichtweite der Römerbrücke.

Chaves Afonso Museum am Ufer
Chaves‘ Afonso Museum am Ufer

Museen schützen sich vor direkter Sonne. Das von außen sichtbare Lichtband entfaltet innen seine Wirkung im Einklang mit der Umgebung des Gebäudes. Die Gestalter der Afonso-Ausstellung haben diesen Effekt bei ihrer Präsentation der Afonso-Werke aufgenommen.

Chaves Museum Lichtband innen
Chaves Museum Lichtband innen

Als Reisende hätten wir in der Umgebung dieses Museums noch Stunden verbringen können, aber als Touristen strebten wir weiter. Die mitgebrachten Impressionen halten die Erinnerung: „Wir müssen dort noch einmal hinreisen … “

Der Hauptraum der Ausstellung ist von oben belichtet. Die warme Farbe des Holzfussbodens strahlt auf den gesamten Raum aus.
Zusätzliches Licht kommt aus dem Seitengang mit dem langgestreckten Lichtband nach Südosten.
Die Leibung des Durchgangs aus heimischem Marmor verbirgt sich unauffällig in der Wand.
Beim Durchschreiten der großzügigen weiten Museumsräume fühlt sich die Besucherin dennoch geborgen.
Die schattigen Ruhezonen geben Blicke auf das Stadtbild frei.
Wer den Eingang versteckt, lässt den Reisenden um das Areal wandern. In jeder Blickrichtung werden die Bezüge der klaren geometrischen Formen sichtbar. Die Konstruktion zeigt sich und wird nicht von „verbrecherischen Ornamenten“ versteckt. Fußnote
Im Spiel mit dem Licht mutiert der Kreisbogen zur gotischen Optik.